Die Suche nach Verbündeten
Über ein verbotenes lesbisches Magazin aus der DDR, feministische Konsequenz und über das Verzweifeln.
The first pride was a riot – daran erinnerte mich kürzlich die Journalistin Stephanie Kuhnen im Gespräch mit Hadija Haruna-Oelker und Max Czollek. Es war ein breites Bündnis aus wütenden Queers, Gefangenen, Arbeitslosen, Mitgliedern der Black Panther Bewegung und Sexarbeiter*innen, die in der Christopher Street in New York zwei Nächte lang gegen Polizeigewalt kämpften.
Das war im Juni 1969. Auch im Juni 2025 demonstrieren weltweit wieder Menschen bei den CSDs (Christopher Street Days) für Vielfalt und Toleranz. Denn Polizeigewalt und die Diskriminierung queerer Communities sind noch lange nicht Geschichte.
Gründe für einen Aufstand gäbe es genug. Nicht nur am sogenannten „Männertag“ im Regionalexpress lässt sich spüren: die Stimmung gegenüber queeren Menschen, FLINTA*s und Feminist*innen hat sich verändert. Es ist zum Verzweifeln.
Und deshalb habe ich angefangen, nach Verbündeten zu suchen. Nach Vorbildern, Schwestern und Mitstreiter*innen. In diesem Newsletter geht es um Sie. Sie, die ein illegales lesbisches (Maga)Zine gründeten, die Feminismus als Konsequenz leben – und jene, die die Verzweiflung ernst nehmen.

„Gemeinsam sind wir unerträglich“
... ist eines der Zitate im Buch Strömungen in Bewegung (2025) der Künstlerin Luise Schröder. Sie beschäftigt sich seit Langem mit der Frauenbewegung in der DDR – und nähert sich ihr nicht nur über das Archivmaterial der Robert-Havemann-Gesellschaft, sondern auch im Austausch mit Zeitzeuginnen und Aktivistinnen.
Ihre künstlerische Forschung rekonstruiert die Stimmung der späten 1980er-Jahre und bringt sie in eine neue Form. Das Buch präsentiert Fotografien von Zeitzeug*innen, Vor- und Rückseiten von Archivdokumenten – und richtig tolle Zitate.
Viele der damaligen Forderungen sind so aktuell, dass ich sie am liebsten auf Demoplakate schreiben möchte.
frau anders
Ein wichtiger Teil der DDR-Frauenbewegung waren auch lesbische Aktivist*innen. Denn lesbisch zu sein war tabuisiert – es fehlte an Räumen, Vorbildern und einer Sprache für das eigene Begehren. Wie so oft war es die Evangelische Kirche, die Frauenrechtler*innen und der lesbischen Bewegung Schutzräume bot.
In den 1980er-Jahren entstanden in Kirchgemeinden erste Arbeitskreise für Homosexuelle. Und das war erst der Beginn: Die Lesbengruppe des Arbeitskreises Homosexuelle in Jena organisierte 1987 das erste DDR-weite Lesbentreffen. Zwei Jahre später gab genau dieser Arbeitskreis die erste frau anders heraus.
frau anders war ein Samisdat (angelehnt an das russische „selbst herausgegeben“) – ein kleines A5-Heft, in dem Informationen, Veranstaltungshinweise und literarische Texte veröffentlicht wurden. Hier konnte gedruckt werden, was in den Staatsmedien keinen Platz hatte.
frau anders war die einzige lesbische Zeitung der DDR – ihr Erscheinen natürlich illegal. Tinte und Papier wurden aus dem Westen geschmuggelt.
Mich erinnert die frau anders an Can you hear us? (2023) – ein unabhängiges, leicht vervielfältigbares (Maga)Zine (ähnlich zum Samisdat), das queere Stimmen aus ländlichen Regionen Sachsens versammelt. Auch heute kämpfen queere Menschen besonders abseits der Großstädte gegen die Unsichtbarkeit. Sie erzählen in diesem Zine von Dates, Flirts im Regionalzug, Sehnsüchten, aber auch von Diskriminierung, Einsamkeit und der Angst vor dem Coming-Out.
Verzweiflungen
„Meine Verzweiflung reißt mich entzwei und ruft: Vertraue mir. Sie ist eine mir anfangs keineswegs vertrauenswürdig scheinende Unordnung. Sie ist eine Zumutung, aber wird zu einem Prozess der Umordnung, Neuordnung: Ich werde ganz anders. Aber so ging es nicht los.“
Diese und viele weitere Zeilen aus Heike Geißlers Essay Verzweiflungen (2025) berühren mich tief. Heike Geißler benennt, was zerreißt, was längst zerbrochen ist – und nimmt den Schmerz ernst. Beim Lesen war ich oft gerührt und fühlte mich irgendwie verstanden.
Indem sie der Verzweiflung innerlich wie äußerlich Raum gibt, entfaltet die Leipziger Autorin einen intimen, mutigen – und zugleich notwendigen – Prozess.
Verzweifeln, nicht als Scheitern, sondern als Rettungsmaßnahme.
Verzweifeln, anstatt menschenfeindliche Narrative zu normalisieren.
Verzweifeln, um trotz allem weiterzumachen, um nicht im Stillen aufzugeben.
Bis bald,
Frida
Ein guter Ort für kämpferische Verzweiflung sind natürlich die CSDs, die auch dieses Jahr wieder von mutigen Menschen in ganz Ostdeutschland organisiert werden – zum Beispiel am 07.06. in Riesa oder am 20.09. in Döbeln.
Doch die CSDs brauchen auch Geld – unter anderem für wirksame Sicherheitskonzepte. CAMPACT sammelt dafür aktuell Spenden.
Der richtige Soundtrack für feministische Wut? Das neue blond-Album (Meine Highlights. Girlboss, Ich wär so gern gelenkiger und 16 Jahr, blondes Haar.)