Guten Morgen, Ostdeutschland
Was macht ostdeutsche Frauen aus? Das Stück "Guten Morgen, Zukunft" sucht nach Antworten und verknüpft Maxie Wanders DDR-Kultbuch mit Thüringer Frauen heute.
Nach unverbildeten Menschen und unberührter Landschaft suchen drei Frauen in orangenen Bademänteln. So beginnt das Stück Guten Morgen, Zukunft am Jenaer Theaterhaus – und mit diesen Worten begann 50 Jahre zuvor Rosi ihre Erzählungen. Rosi ist eine der Protagonistinnen in dem Buch Guten Morgen, du Schöne von Maxie Wander das als Grundlage für das Theaterstück dient. Im Zentrum beider Werke stehen die Erfahrungen ostdeutscher Frauen, damals in den 70ern und heute. Was verbindet sie und was ist nur Klischee? Dieser Newsletter hadert mit ostdeutschen Realitäten und was dieses ostdeutsch eigentlich bedeutet.

Raue Hände – gerechte Vergangenheit?
Es gibt viele Stereotype über Frauen in der DDR: raue Hände und unrasierte Achseln sind nur zwei davon. Oft werden sie als Vorreiterinnen des Feminismus heroisiert – als Frauen, die scheinbar mühelos Beruf und Familie vereinen.
„Wir haben oft eine Woche nicht miteinander gesprochen. Dann habe ich wieder wortstark versucht, die Gleichberechtigung durchzuziehen“, erzählt Doris, eine der Frauen in Maxie Wanders Buch. Es basiert auf Tonbandprotokollen von Gesprächen mit Frauen verschiedener Altersgruppen und Berufe. Ungeschönt berichten diese von ihrem Alltag – von Arbeit und Familie. Dabei geht es um das Kind in der Krippe und Frau-Sein im Betrieb. Aber auch um die Träume vom Fortgehen, den Streit mit den Schwiegereltern und Geldsorgen. Probleme gab es jedoch durchaus. Die hohe Erwerbsquote von Frauen in der DDR täuscht leicht darüber hinweg, dass sie oft schlechter bezahlt wurden, seltener Führungspositionen erreichten und nebenbei den Großteil der unbezahlten Hausarbeit erledigten.
Gestern demonstrierten mehrere Zehntausend Menschen in ganz Deutschland am feministischen Kampftag. Sie setzten ein Zeichen gegen unbezahlte Care-Arbeit und geschlechtsspezifische Gewalt und für echte Gleichberechtigung. Das Buch “Guten Morgen, du Schöne” kann neue Perspektiven liefern auf Themen, die auch heute noch debattiert werden. Dabei verschmilzt beim Lesen das Private mit dem Politischen. Oder wie Christa Wolf es formulierte: Man liegt nach der Lektüre nachts wach und fragt sich: Wie ist mein Leben? Wie würde ich davon erzählen?
Die Geschichten der Töchter
Auch die Frauen im Theaterstück würden gerne ihre Geschichte erzählen. Doch sie scheitern schon daran, festzumachen, worin diese Geschichte eigentlich besteht. Hinzu kommt die Herausforderung, überhaupt gehört zu werden. Die Protagonistinnen des Jahres 2025 fragen sich: Warum wird ihre Erfahrung so oft als unbedeutend wahrgenommen? Liegt es an ihrem Frausein, ihrer ostdeutschen Herkunft – oder fehlen ihnen einfach die richtigen Worte?
Das Stück Guten Morgen, Zukunft entwickelten Musa Kohlschmidt und Julius Böhm auf der Grundlage authentischer Erzählungen ostdeutscher Frauen heute. Dazu haben sie – ähnlich wie Maxie Wander – Frauen zwischen 17 und 70 nach ihrem Leben befragt und daraus drei Charaktere geschaffen. Sie sind die Töchter jener Frauen, die Maxie Wander in der DDR porträtierte.
Es sind die Geschichten der Mütter, die den Kern des Stückes bilden. Auf der Suche nach der eigenen Herkunft und ihrer Zukunft verheddern sie sich in den Umständen ihrer Kindheit, finden heraus, wie sie nie werden wollten und welche Ideale sie verinnerlicht haben. Diesen Prozess beschreiben sie etwa so: Die Vergangenheit ist wie der Boden, den sie brauchen, um zu wachsen. Dafür müssen sie allerdings wissen, woraus diese besteht – und ob sie hier überhaupt weiter wachsen wollen.
Das Bühnenbild macht diesen Prozess sichtbar: Ein Regal voller Alltagsgegenstände – vom Röhrenfernseher bis zum Tennisschläger – wird durchstöbert, ausprobiert und hinterfragt. Was ist davon heute noch zu gebrauchen?
Tschüss, Ostdeutschland
Zwei Wochen nach der Bundestagswahl kursieren (mal wieder) Karten, die das Wahlverhalten in Ost- und Westdeutschland gegenüberstellen. Auch 2025 zeichnen diese wieder eine innere Grenze. Medien diskutieren Erklärungen über Ostdeutschland und die Auswirkungen der Vergangenheit auf das Wahlverhalten heute.
Im Stück haben die Frauen genug von den Ostdeutschland-Diskursen: Ostdeutschland war eine Arbeitshypothese – und sie brauchen diese nun nicht mehr. Symbolisch begraben sie dieses Ostdeutschland so am Ende des Abends – zumindest die Version, die es heute noch ist. Die Protagonistinnen haben anderes mit ihm vor.
Sie suchen nach etwas, das über das nächste Dorffest hinausgeht – nach echtem Zusammenhalt. Sie wollen nicht in der Aufarbeitung der eigenen Biografie stecken bleiben, sondern nach anderen Zukünften suchen. Nach dem Applaus gibt es deshalb Thüringer Blechkuchen und Zeit für Gespräche. „Es war nicht schlechter, es war nur anders,“ sagt ein Besucher über das Ende der DDR. Unser Gespräch kehrt immer wieder zu den Müttern zurück – und zum Muttersein heute. Wildfremde Menschen erzählen einander von der eigenen Kindheit und den potenziellen (oder tatsächlichen) Kindern der Zukunft.
Vielleicht ist Guten Morgen, du Schöne mehr als ein Buch – vielleicht eine Methode: Ein Prozess aus Zuhören, Nachfragen, Erinnern und Entwerfen. Eine Möglichkeit, das eigene Leben in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Ganz im Sinne von Maxie Wanders Prämisse: „Ich halte jedes Leben für hinreichend interessant, um anderen mitgeteilt zu werden.“ Die einzige Bedingung: Ehrlichkeit.
Bis bald, Frida
Was ist eigentlich mit den ostdeutschen Männern? Dieser Frage geht die Journalistin Greta Taubert nach in ihrem Buch “Guten Morgen, Du Schöner” (2020)
Oft wird bei Frauen automatisch von der Perspektive von cis-Frauen ausgegangen. Doch in der DDR gab es seit 1976 ein Gesetz, das eine Personenstandsänderung sowie medizinische Maßnahmen rechtlich ermöglichte. Im Podcast Horchpost DDR geht es um Transitionserfahrungen in der DDR.
“Guten Morgen, ihr Schönen!” ist übrigens auch der Untertitel des Films Die Unbeugsamen 2 (2024) von Torsten Körner - ein Gruppenporträt über Frauen in der DDR.