Wo ist die Gegendemo?
Das NDK in Wurzen schafft demokratische Schutzräume – jetzt wurde seine Förderung gestrichen. Der Filmemacher Jakob Wehner hat das NDK bei seiner Arbeit begleitet.
Ganz knapp hast du den Fußball neben das Tor geschossen, du bist 12 Jahre alt, und nach dem Spiel bekommst du ein Eis in die Hand gedrückt. Heute Abend feierst du in der Disco – zumindest bis 22 Uhr, denn es ist Sommer 2024 und das Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) in Wurzen organisiert ein Fußballturnier und die After-Party.
Diese Szenen hat der Filmemacher Jakob Wehner in seinem Film Bollwerk eingefangen. Er wirft einen unaufgeregten Blick hinter die Kulissen der Zivilgesellschaft, die abseits der Großstädte soziales und kulturelles Leben organisiert – und dabei selbst immer wieder um ihr eigenes Überleben fürchtet.
Seit zwei Wochen ist die Lage besonders ernst: Der Wurzener Stadtrat hat sich gegen die Finanzierung des NDK entschieden. In einer geheimen Abstimmung votierten 12 der 20 Stadträt*innen gegen den notwendigen Eigenanteil der Stadt – vermutlich waren es die Stimmen von AfD und CDU.
Tabubruch schon wieder, die Brandmauer wird eingerissen, Kultur im ländlichen Raum bedroht – all das muss skandalisiert werden. Doch dabei darf das Wichtigste nicht in den Hintergrund treten: die Arbeit der Zivilgesellschaft.
Im Gespräch mit Jakob über seinen Film Bollwerk geht es deshalb vor allem um den Alltag, die erschreckende Normalität von kultureller Arbeit und darum, wie wir positive Narrative über die Zivilgesellschaft im ländlichen Raum schaffen können.
Ostdeutsch werden
Jakob wurde Anfang der 2000er in Leipzig geboren und zog später für sein Studium nach Köln. Dort begegneten ihm auf einmal diese Fragen nach den Nazis im Osten – und das Typische: „Krass, man hört dir gar nicht an, dass du aus dem Osten bist“, erzählt Jakob.
Ostdeutsch zu sein bedeutet für ihn, einen anderen Blick auf die deutsche Geschichte zu haben: einen, der geprägt ist von dem Wissen, dass die Wende für die Leute ganz verschieden aussah. Er ist der Meinung, wir müssen da differenzierter draufschauen, weil Biografien komplizierter sind, als sie auf den ersten Blick scheinen.
Seine „Ostdeutsch-Werdung“ vertiefte sich, als Jakob nach der Correctiv-Enthüllung vergangenes Jahr in Köln auf einer Demo war. Er erzählt:
„Als wir da zu so einer großen Demo gegangen sind, fragte ich eine Freundin: Wo geht denn eigentlich die Gegendemo lang? Und sie hat mich ganz verwirrt angeguckt und gefragt: Hä, welche Gegendemo? An den Orten, die ich kenne und in denen ich groß geworden bin, da gab es natürlich immer eine rechte Gegendemo.“
Daraufhin begann Jakob, sich näher mit ostdeutschen Initiativen im ländlichen Sachsen zu beschäftigen. Ob Colorido in Plauen oder Akubiz in Pirna – jede kleinere Stadt hat oft genau diesen einen Verein, der unglaublich wichtige Arbeit leistet, sagt er. Und Wurzen hat eben das NDK – bislang.
Deshalb nennt Jakob seinen Film Bollwerk – als Bild für diese eine Initiative, ohne die ganz viel wegfallen würde, die Festung der Zivilgesellschaft, die verteidigt werden muss.
Und die Zivilgesellschaft in Wurzen steht schon lange unter starkem Beschuss. Auch hier demonstrierten vergangenen Sommer fast 400 Menschen für die Demokratie und gegen den Faschismus. Doch als ein Feuerwerkskörper auf die Menge gezielt wurde und eine Terrasse in Brand setzte, musste die Kundgebung abgebrochen werden.
Na klar, hat Wurzen ein Nazi-Problem
… sagt deshalb auch Melanie, eine der Gründerinnen des NDK, im Film Bollwerk. Das hört natürlich niemand gern – insbesondere nicht der Bürgermeister der Stadt. Doch genau deshalb gründeten Ende der 1990er ein paar Jugendliche in einer Hinterhofwohnung überhaupt erst das Netzwerk für Demokratische Kultur e. V. (NDK).
Die Lage war damals in Wurzen extrem gefährlich. Es gab sogenannte „national befreite Zonen“ – Gegenden, in denen es für migrantisierte Menschen und Andersdenkende quasi unmöglich war, nur auf die Straße zu gehen, berichtet Ludwig, Mitarbeiter des NDK im Film.
Und auch im Jahr 2024 wurden in Sachsen 446 Menschen von rechten Gewalttätern angegriffen. Opferberatungsstellen warnen: Gerade junge Nazis sind besser organisiert, treten selbstbewusster auf.
Das Ziel des NDK ist deshalb damals wie heute: einen geschützten Raum schaffen für demokratische Ideen und vielseitige Projekte.
Dafür arbeiten aktuell 14 Menschen beim NDK. Sie organisieren den Projektraum am Markt, Filmabende, Konzerte, Diskussionen, Salsa-Treffs und Gedenkmärsche.
Bänke tragen statt Nazis schlagen
All die Handgriffe im Hintergrund, die diese Veranstaltungen möglich machen, dokumentiert Jakob in seinem Film: Fluchtwege abklären, Getränkekisten tragen und Gäst*innen begrüßen.
„Es ist nicht so, dass die Menschen morgens erst mal aufstehen und sich mit Nazis boxen, um zu ihrem Haus zu kommen, sondern dass einfach ganz viel ganz normale Vereinsarbeit ist – was irgendwie ganz unaufregend im besten Sinne ist“, beschreibt er.
Es wäre wohl ein anderer Film geworden, hätte Jakob die Drohungen, Farbbomben und Klebstoffattacken, mit denen regelmäßig die Räume des NDK bedroht werden, in den Vordergrund gestellt. Doch bewusst hat sich Jakob gegen den Stil „reißerischer Spiegel-Reportagen“ entschieden:
„Ich glaube, dass in der Berichterstattung über den Osten – und insbesondere über kleine Vereine und ländliche Räume in Sachsen – ganz oft mit Bildern von Angst gespielt wird. Ich denke an Aufnahmen, bei denen der Kameramann den Film abrupt abbricht, weil Nazi-Jugendliche auf ihn zukommen und es zu gefährlich wird. Das ist nicht falsch, aber ich glaube, dass Kunst eine andere Perspektive reinbringen kann.“
Was mich wachhält
Ich bin wütend, als ich zum ersten Mal von der Entscheidung des Stadtrats gegen die Finanzierung des NDK lese.
Dann frage ich mich, wie der Sommer 2026 in Wurzen wohl aussieht. Wer die Räume übernimmt, die das NDK nicht mehr finanzieren kann, und wer in Zukunft Schutzräume aufrechterhält. Und ich weiß, dass in Ostdeutschland gerade viele Kulturvereine um ihr Überleben kämpfen.
Was mir dann Hoffnung gibt, sind die Bilder vor meinem inneren Auge aus Jakobs Film – die Hände, die Fußballspiele pfeifen, verschüttete Limo nach der Party vom Boden wischen und Mikrofone abbauen.
Bis bald,
Frida
Ein richtig guter Zeitpunkt das NDK oder andere Bollwerke zu unterstützen.
Du hast Lust Jakob mit seinem Film in deine Stadt einzuladen - schreib ihm einfach auf Insta.
Oder willst Du dich noch mehr über rechte Raumnahme in Sachsen informieren? Der Podcast des Kulturbüro Sachsen - Sachsen rechts unten - bietet spannende Einblicke.